Wenn das eigene Kind trans* ist oder Eltern vielleicht den Verdacht hegen, ist es sicherlich nicht einfach. Denn als Eltern möchte man nur das Beste für sein Kind. Doch was ist das Beste? Wie verhält man sich? Ignoriert man es einfach? liesLotte hat sich mit Sebastian Kempf, Sexualpädagoge bei pro familia München unterhalten.
Gibt es Anzeichen für Eltern? Wie können Eltern Transidentität erkennen?
Das Kind zeigt in der Regel schon früh, dass es kein Junge oder Mädchen sein möchte und macht das sehr deutlich. Ein Mädchen möchte vielleicht nicht „so blöde Mädchensachen“ anziehen oder ein Junge distanziert sich von wilden Jungsspielen und verbringt seine Zeit lieber in der Puppenecke. Allerdings gilt es hier zu unterscheiden, ob es darum geht, WIE das andere Geschlecht zu sein, also ob es eine Unzufriedenheit mit der Rolle ist, oder ob es ein Ich-will-so-SEIN ist – ein Ausdruck dessen, dass sich das Kind mit seinem Körper nicht wohlfühlt.
Ist das nicht auch manchmal nur eine „Phase“, gerade bei kleinen Kindern?
Kinder probieren gerne Rollen aus, gerade bis zur frühen Schulzeit. Da schlüpft ein Junge schon mal in ein Prinzessinnenkleid, trägt Stöckelschuhe aus der Verkleidungskiste und möchte später mal Mama werden. Mädchen schneiden sich die Haare ab und spielen Ritter. Die Jungs werden dabei von den anderen meist komisch beguckt, während das Mädchen eben wild ist. Die Rollenspielräume sind für Mädchen bis zur Pubertät eindeutig größer, sodass es bei Jungen erst mal schneller auffällt, wenn es nicht nur eine kurze Phase, ein Ausprobieren ist. Wenn es über einen längeren Zeitraum geht, Kinder vehement und hartnäckig sind, könnte mehr dahinterstecken.
Was sollen Eltern tun, wenn sie den Verdacht haben, dass das Kind sich mit seinem zugeschriebenen Geschlecht unwohl fühlt?
Eltern sollen ihre Kinder auf jeden Fall ernst nehmen und nachfragen. „Wie genau meinst du das?“ Wenn ein Junge lieber ein Mädchen sein möchte: Will er die klassische Jungenrolle nicht erfüllen und WIE ein Mädchen sein, oder will er tatsächlich Mädchen sein, auch mit dem Mädchenkörper, der dazugehören würde? Gerade nach dem Grundschulalter werden die Signale deutlicher. Wichtig ist aber auch, wie offen das Klima in der Familie ist. Denn es ist nicht einfach für ein Kind, sich zu trauen, über solch ein diffuses Gefühl des „Ich bin anders“ zu sprechen. In einer streng religiösen Familie oder einer Familie, die viel Wert darauf legt, was die anderen sagen, ist es sehr viel schwieriger für das Kind.
Wie können Eltern reagieren, wenn das Kind „plötzlich“ trans* ist?
Es geht vor allem darum zu verstehen, was das Kind jetzt braucht. Es gilt nachzufragen, wie wichtig es ihm ist. Gerade wenn man versucht, auf Reaktionen der anderen oder auf
die Schwierigkeiten im Veränderungsprozess vorzubereiten, kann man sehr gut ins Gespräch kommen. Eltern können gerade einem Jugendlichen auch sagen: „Das ist echt hart für mich. Ich hatte ganz andere Vorstellungen.“ Aber es sollte auch klar sein, dass es hier nicht um mich und meinen Ruf als Eltern geht. Auch Eltern können und sollten sich in so einer Situation Unterstützung zum Beispiel bei Beratungsstellen holen.
Müssen Eltern sich Sorge machen, dass sie versagt haben?
Eltern fühlen sich schnell unter dem sozialen Druck, in der Erziehung versagt zu haben. Aber, das ist meine Botschaft an die Eltern: Es ist kein Erziehungsfehler! Machen Sie sich klar, was wichtiger ist: Die Meinung der Nachbarn, böse oder verständnislose Blicke zu vermeiden oder dass Ihr Kind als freier Mensch glücklich lebt? Manchmal hat man auch Glück, dass Freunde oder Nachbarn viel offener sind, als man gedacht hätte.
Was passiert, wenn Eltern sich der Realität nicht stellen (wollen)?
Stellen Sie sich vor, wie schwierig es für ihr Kind ist, wenn die eigenen Eltern in einer so schweren Situation nicht hinter ihm stehen und die Möglichkeit des Trans*-Seins als unmöglich abtun. Es zu ignorieren verbessert das Verhältnis nicht. Eltern laufen dann Gefahr, dass die Kinder das Weite suchen. Wenn sich die Pubertät komplett durchgesetzt hat, hat man nun mal den Körper des angeborenen Geschlechts. Da ist es sinnvoller, mit etwa zwölf Jahren Pubertätsblocker zu bekommen, denn dann hat man auch noch mal Zeit zu schauen, ob man wirklich das Leben als Trans*-Mensch führen möchte.
Wie kann man mit kleineren Kindern über Transidentität ins Gespräch kommen? Soll man das überhaupt?
Kinder bekommen mit, dass Models oder Prominente früher ein anderes Geschlecht hatten. Und sie fragen viel. Warum ist Onkel Max jetzt eine Frau? Man sollte keine Hemmungen haben zu erklären, dass sich Onkel Max als Mann unwohl gefühlt hat und jetzt als Frau glücklich ist. Kinder verstehen solche Dinge viel besser als Erwachsene. Da geht es gar nicht um die körperlichen Merkmale. Es geht doch viel mehr darum, dass Kinder lernen: Jeder hat das Recht, so zu leben, wie er es möchte.
Info: SEBASTIAN KEMPF
ist Diplom-Sozialpädagoge (FH) und seit 1993 Mitarbeiter im sexualpädagogischen Team der pro familia München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind pädagogische Gruppenarbeit, Fortbildungen und Elternarbeit. Er ist Berater bei sextra.de, dem Onlineberatungsportal des pro-familia-Bundesverbandes.