„Hilfe, unser Kind hat uns beim Sex erwischt!“

HINWEIS: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr (Erscheinungsdatum: 23. Januar 2021). Es kann sein, dass Inhalte dieses Artikels sich geändert haben. Hier geht es zu unseren aktuellen Meldungen.

Seit einer Woche schläft Julius (2,5 J.) durch. Die Eltern, Raphael (32 J.) und Manuela (35 J.) hatten einen entspannten Abend, an dem sie sich viel erzählt haben und sich endlich wieder sehr nahe gefühlt haben. Sie gehen früher als sonst ins Bett und sind in freudiger Erregung, die wiedergewonnene Nähe auch körperlich zu leben. Ganz versunken im aufregenden Liebesspiel, merken beide erst spät, dass Julius im Zimmer steht und weint. Erschrocken schnappt Manuela sich die Decke und springt aus dem Bett. Sie redet beruhigend auf das Kind ein und erzählt Julius, dass sie schlecht geträumt hätten. Um sicher zu sein, dass es Julius wirklich gut geht, legt sie sich noch ein bisschen zu ihm, bis er eingeschlafen ist.

Als Manuela wieder ins Schlafzimmer kommt, ist die gerade noch so schöne, sexuell aufgeladene Stimmung, dahin. Der alte Vorwurf von Raphael: „Immer geht es nur um Julius“, ist wieder da. Und Manuela hat Sorge, dass Julius nun traumatisiert ist. Ist diese Sorge berechtigt? Wie können wir uns als Eltern in einer solchen Situation verhalten und gleichzeitig gut für das Kind sorgen und ebenso unseren eigenen Bedürfnissen treu bleiben? Wir befinden uns hier auf einer Gratwanderung, wenn wir möglichst beidem gerecht werden wollen. Es ist ja allgemein bekannt, dem Kind immer nur so viel Tatsachen zum Thema Sexualität zuzumuten, wie es erfragt. Nun hat Julius nicht gefragt. Er ist aber in eine Situation geraten, die ihm Angst macht, weil Papa und Mama Geräusche von sich geben, die für ihn fremd sind und die er vielleicht mit „Schreien“ verbindet. Ist es dann richtig, sein Kind anzulügen? Auf jeden Fall ist es gut nachvollziehbar, denn kein Elternpaar möchte, dass ihr Kind Angst hat.

Und dennoch tendiere ich zu der schwierigeren Variante, die Wahrheit kindgemäß rüberzubringen und dabei vielleicht auch noch die Möglichkeit zu haben, die Nähe zum Partner, zur Partnerin zu bewahren. Wie könnte das gehen?

Julius kommt also ins Zimmer und weint. Natürlich wird der Akt als solches dabei unterbrochen und die Nähe, auch die körperliche, darf trotzdem bleiben. Das Paar kann sich zum Beispiel in den Armen halten und einer der beiden kann sagen: „Oh, jetzt bist du ganz schön erschrocken, weil Mama und Papa so laut waren, gell?“ Das Kind wird nicken und sich verstanden fühlen und nimmt zugleich wahr, dass es den Eltern gut geht. Die Eltern können dann das Kind kurz zu sich ins Bett holen und erklären, dass Erwachsene, die sich liebhaben, ganz, ganz nah mit dem bzw. der anderen sein wollen und dass sich das dann so toll anfühlt, dass vor Freude und Aufregung solche Juchzer herauskommen. Hier ist es hilfreich ein Beispiel zu finden, bei dem das Kind schon einmal vor Aufregung und Freude gejuchzt hat. Wie zum Beispiel Trampolin springen, Schlitten fahren, Karussell fahren, rutschen, Fangen spielen …

Fragt nun das Kind nach Einzelheiten, ist das der Moment, direkt und ohne weitere Ausführungen auf die Frage zu antworten. Ist das Kind kleiner, reicht es, wenn beide Eltern es in den Arm nehmen und zeigen, dass es ihnen gut geht.

Nach so einem Gespräch wird sich auch Julius tatsächlich beruhigen und das nächste Mal in einer solchen Situation nicht mehr so erschrecken. Nun können Raphael oder Manuela oder vielleicht sogar beide zusammen, Julius wieder ins Kinderzimmer bringen, um dann ihre Nähe als Eltern und vor allem als Paar mit Lust zu leben und in der Sexualität zu vollziehen.

Ich habe mich in diesem Beispiel Klischees bedient, um möglichst viele Eltern anzusprechen. Natürlich ist jedes Paar und jedes Kind einzigartig und diese Geschichte nicht auf alle übertragbar. Einen besonderen Unterschied macht es zum Beispiel, wenn ein/e PartnerIn nicht Vater oder Mutter des Kindes ist. Auch wenn das Kind größer ist, vielleicht schon in der Pubertät, sind andere Reaktionen passender.

INFO:
Astrid Schreiber
Dipl.-Sozialpädagogin, Systemische Paar- und Familientherapeutin
berät bei pro familia Augsburg e.V.
Tel.: 0821 / 45 03 62-0

www.profamilia.de

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