Ratgeber Familienalltag: Du bist wertvoll!

Ein wertschätzender Umgang miteinander sollte nicht nur innerhalb der Familie selbstverständlich sein, sondern erst recht in den Schulen. Warum ist das so und was können Eltern tun, wenn es in der Schule Probleme mit der Wertschätzung gibt? Die Buchautorin und ehemalige Lehrerin Heidemarie Brosche beschäftigt sich mit dieser Thematik seit Langem.

Rohrstock und Prügelstrafen sind glücklicherweise heutzutage nicht nur verboten, sondern für die meisten Menschen auch kaum noch vorstellbar. Aber ab und an stellen die lieben Kleinen die elterliche Selbstbeherrschung auf harte Proben und ernten dafür unangebracht böse Worte. Dann ist das schlechte Gewissen groß und die Selbstvorwürfe halten Einzug. Doch obwohl es in den sozialen Medien anders wirken mag: auch Eltern sind Menschen und so sehr sie um Gelassenheit und Wertschätzung gegenüber ihren Kindern bemüht sind, manchmal kriegen sie es einfach nicht besser hin.

Bei der Forderung nach mehr Wertschätzung in Schule und Erziehung denken viele zunächst einmal an eine Art „Kuschelpädagogik“ oder antiautoritäre Erziehungsmethoden. Dem widerspricht die dreifache Mutter und ehemalige Lehrerin Heidemarie Brosche vehement. Neben Freiheit brauchen Kinder auch eine gewisse Führung durch Eltern und Erziehungspersonen, denn viele Entscheidungen können sie noch nicht alleine treffen. Bei der Art und Weise, wie diese Führung ausgeübt wird, spielt die Wertschätzung allerdings eine große Rolle.

Durchsetzen oder Überzeugen
Um andere Personen zu beeinflussen, gibt es zwei Möglichkeiten: Macht oder Beziehung. Noch vor einigen Jahrzehnten war es gang und gäbe, Erziehung mit Mitteln der Macht durchzusetzen. Und auch heute noch gibt es in fast jeder Familie Momente, in denen elterliche Maßnahmen mit einem „weil ich das sage“ oder unter Androhung von Strafe durchgesetzt werden. Gerade im familiären Rahmen findet jedoch eine stetig zunehmende Verlagerung weg von der Macht und hin zur Beziehung statt. Wertschätzung bedeutet dabei für Heidemarie Brosche, „dass man jedem Menschen eine Haltung entgegenbringt, die seinen Wert sieht und diesen nicht mindert; den Menschen also nicht abwertet oder gar entwertet.“ Denn wer in seiner Persönlichkeit gestärkt statt heruntergemacht wird, hat es nicht nötig, andere fertigzumachen, um sich der eigenen Position zu vergewissern. Das kann ein Leben lang Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen haben.

Wertschätzung in der Schule
In der Schule ist ein wertschätzender Umgang aus zwei Gründen besonders wichtig: Erstens befinden sich Kinder und Jugendliche in einer sensiblen Phase der Entwicklung und machen mit der Pubertät ohnehin eine mehr oder weniger tiefe Persönlichkeitskrise durch. „Auch wenn sie oft sehr cool tun, sind sie eigentlich sehr, sehr verletzlich“, weiß Brosche aus eigener Erfahrung. In dieser Phase das Gefühl vermittelt zu bekommen, keinen Wert zu haben, kann fatale Folgen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung haben.

Zweitens ist die Schule ein Umfeld, in dem ohnehin ständig bewertet wird. Lehrer:innen sollten in ihrer Kommunikation sehr sensibel sein, um bei der Bewertung einer Leistung nicht auch die Person zu be- und gegebenenfalls abzuwerten. Sie sollten ihre Schüler:innen unabhängig von der fachlichen Leistung als wertvolle Individuen auffassen und ihnen stets das Gefühl vermitteln, als solche gesehen und wertgeschätzt zu werden.

Gleichzeitig ist es im schulischen Kontext doppelt schwer, die Führung allein durch Beziehung zu gestalten. Bei Klassenverbänden handelt es sich um große Gruppen aus unterschiedlichen Sozialisationen und Wertesystemen und die Lehrkräfte haben die Aufgabe, ihren Schützlingen etwas beizubringen. Dafür braucht es eine gute Lernatmosphäre, für die eine gewisse Disziplin unerlässlich ist. Und wenn das mit der Beziehungsbildung dann nicht gut klappt, bleibt nur die Macht.

Was Eltern tun können
Wenn Kinder erzählen, sie würden in der Schule übersehen, nicht wertgeschätzt oder sogar abwertend behandelt, rät Heidemarie Brosche, die Vorwürfe immer ernst zu nehmen und nicht einfach beiseite zu wischen, ernst zu nehmen und nicht einfach beiseite zu wischen, aber eine gewisse kritische Distanz zu bewahren.

Kinder belügen ihre Eltern selten absichtlich, wollen sie aber in Konflikten selbstverständlich voll und ganz auf ihrer Seite wissen und neigen daher zu einseitig gefärbten Darstellungen. Ein Perspektivwechsel, also die Überlegung, wie die Situation für die anderen beteiligten Personen gewesen sein könnte, kann hier hilfreich sein. Die dadurch erzeugte Empathie entspannt die Lage meist erheblich, wenn beispielsweise klar wird, dass hinter einer Reaktion vielleicht gar keine böse Absicht steckte oder die Situation schlicht unterschiedlich wahrgenommen wurde.

Gibt es tatsächlich einen Konflikt zwischen dem eigenen Kind und einer Lehrkraft, wollen Eltern gern sofort eingreifen. Brosche empfiehlt jedoch, zunächst das Kind zu ermutigen und ihm zu helfen, selber das Gespräch mit der Lehrkraft zu suchen. Sobald Eltern eingreifen, vermitteln sie dem Kind das Gefühl, es alleine nicht hinzukriegen. Schüler:in und Lehrer:in sollten in Ruhe, unter vier Augen und möglichst ohne Vorwürfe miteinander reden können. Durch Ich-Botschaften wie „Ich habe mich ungerecht behandelt gewühlt, weil …“, wird die eigene Perspektive dargestellt, während für die Gegenseite die Möglichkeit bestehen bleibt, eine andere Sichtweise zu haben. So können Missverständnisse ohne böses Blut aus dem Weg geräumt werden.

Erst wenn das Gespräch zwischen Kind und Lehrkraft nichts bringt, sind die Eltern direkt am Zug. Auch hier gilt aber: konstruktiv, besonnen und keineswegs in Kampfstimmung auftreten. Wer Wertschätzung einfordert, muss diese auch dem eigenen Gegenüber entgegenbringen. Eltern sollten daher nicht automatisch davon ausgehen, die Lehrkraft handele bewusst in böser Absicht. In einem freundlichen Gespräch gibt es die Möglichkeit, eventuelle Schwächen einzugestehen und aufeinander zuzugehen. Eine Kampfhaltung hingegen wird immer auf Gegenwehr treffen und den Konflikt nur verhärten.

Wenn das alles nichts bringt, können im letzten Schritt externe Mittler:innen wie Beratungslehrer:innen, Schulpsycholog:innen oder die Schulleitung hinzugezogen werden. Es sollte jedoch nicht mit Kampfstimmung, sondern mit Wertschätzung und der Bereitschaft zum Perspektivwechsel agiert werden. So lassen sich nicht alle Konflikte lösen, aber viele verlieren erheblich an Schärfe.

Gegenseitiges Verständnis
Nicht nur Eltern wissen: „Die Kleinen“, sogar wenn sie schon groß sind, können ihre Erwachsenen punktgenau zur Weißglut treiben. Oft genug fallen dann Worte, die beide Seiten später bereuen. Und allzu oft ergeht es Lehrer:innen ähnlich wie Eltern: Sie bemühen sich tagtäglich, alles richtig zu machen. Aber es gibt diese Tage, da kommt alles zusammen und trotz aller Bemühungen kriegt man es nicht besser hin. Denn auch die besten Lehrer:innen sind nur Menschen und es gelingt ihnen nicht immer, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. (mb)

INFO:
Heidemarie Brosche
Arbeitete als Mittelschullehrerin und ist erfolgreiche Autorin von Kinder-, Jugend- und Sachbüchern. Sie ist Mutter von drei inzwischen erwachsenen Söhnen und lebt mit ihrem Mann in Friedberg bei Augsburg. Wichtig ist ihr ein Miteinander, das von gegenseitiger Wertschätzung getragen ist. 2020 wurde sie mit dem „Volkacher Taler“ der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet.

www.h-brosche.de

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