NEIN HEISST NEIN! UND JA HEISST JA!
Der Fall Gisèle Pelicot hat mich letztes Jahr besonders bewegt. Als kurz vor Weihnachten das Urteil gesprochen wurde, hatte ich wenigstens annähernd das Gefühl, dass die verhängten Freiheitsstrafen einigermaßen gerecht sind.
Richtiggehend fassungslos und voller Wut lassen mich jedoch Urteile nach Vergewaltigungen zurück, bei denen der Täter freigesprochen oder zu einigen Sozialstunden verurteilt wird.
Wie im Prozess einer Gruppenvergewaltigung in Hamburg 2020 berufen sich die überführten Männer auf eine scheinbare Einwilligung des Mädchens und auf den männlichen Gruppenzwang – und kommen damit durch. Ein anderer Vergewaltiger erhält Anfang Januar 2025 eine milde Strafe, damit er seinen Beamtenposten nicht verliert. Die Richterin spricht von der Tat als eine „unreife Reaktion”. Aha. Einfach nur Nein!
Mildernde Umstände für Vergewaltiger sind in deutschen Gerichten an der Tagesordnung. Sie sind Ausdruck der festen patriarchalen Strukturen unser männerdominierten Gesellschaft, in der sich Vergewaltiger sicher fühlen können und Opfer durch die Tat UND durch den Prozess gedehmütigt werden.
Am 13. Juni 2024 sind Vorschriften der EU zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft getreten. Mit ihm sollten in allen Mitgliedstaaten strengere Strafen durchgesetzt werden bei Gewalt gegen Frauen. Doch Männer verhinderten das. Neben anderen auch der deutsche Justizminister. Das neue EU-Gesetz sollte ebenfalls das etablieren, was in
Ländern wie Schweden und Spanien bereits Realität ist: Sexuelle Handlungen sind nur dann einvernehmlich, wenn die Frau ausdrücklich „Ja“ sagt.
Ein klares „Ja heißt ja!“ würde das fundamentale Menschenrecht aller Frauen schützen – körperliche Unversehrtheit und die Selbstbestimmung über den eigenen Körper.
In Deutschland und vielen anderen Ländern liegt die Verantwortung während einer ungewollten sexuellen Handlung weiterhin bei der Frau, sich zu wehren und deutlich „Nein“ zu sagen. Zudem muss sie dies auch noch vor Gericht nachweisen, eine Hürde, die es Frauen noch zusätzlich erschwert, Anzeige zu erstatten – neben der grundsätzlich vorhandenen Scham. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2023 in Deutschland insgesamt 12.200 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung erfasst. Die Dunkelziffer wird auf circa 90 % geschätzt.
Ein Angeklagter im Fall Gisèle Pelicot äußerte, er wisse gar nicht, was Einvernehmen bzw. Nichteinvernehmen wäre. Da bleibt frau sprachlos zurück. Milde Gerichtsurteile sind letztlich ein Spiegel einer misogynen, gesellschaftlich zementierten Moral: Frauen weniger zu glauben, ihnen zu unterstellen, sie würden mit einer Anzeige nur Karriere, Geld oder Ruhm bezwecken oder sind doch letztlich sogar selber schuld. Als sexy definierte Kleidung scheint schon mal der Freifahrtsschein zu sein. Im Fall Till Lindemann hätten die jungen Frauen doch wissen können, was sie auf der AfterShow-Party erwartet … Und immer wieder die Überzeugung: Die Frau hat den armen, schwachen, triebgesteuerten Mann sicher provoziert…
Victim blaming nennt man das – Täter-Opfer-Umkehr.
Und übrigens, wie die Anwältin und Autorin Christina Clemm schrieb: „Gewalt gegen Frauen bekämpft man nicht mit Rassismus, sondern mit Antisexismus.”
von Uta Börger.
Bild: Adobe Stock, Maria Skrigan