Sisterhood: Ein Eisberg seit Jahrtausenden

Grafik Sisterhood Adobe Stock Maria Skrigan

Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Gibt es das typisch Weibliche? In dieser neuen Rubrik möchten wir uns mit dem „Frausein” in verschiedenen Facetten beschäftigen. Wir schreiben über Themen wie Frauengesundheit, Körperlichkeit, Sexualität, aber auch über Diskriminierung, feministische Gedanken und gesellschaftliche Strukturen. Wir möchten damit Frauen stärken und Gleichberechtigung weiter ins Bewusstsein von uns allen rücken.

4. Ein Eisberg seit Jahrtausenden

Sie ist allgegenwärtig – die Gewalt gegen Frauen. Vielleicht sagen einige der Leserinnen und Leser jetzt: Ach Quatsch, das gibt es doch in Deutschland nicht mehr! Leider bringt mich diese Einstellung in Rage. Und zwar darum:

Stellt euch mal einen Eisberg vor: Unter der Wasseroberfläche ist der alltägliche Sexismus angesiedelt: sexistische Witze, starre Rollen für Männer und Frauen, Erniedrigung, Herabsetzung, Ausgrenzung, generisches Maskulinum und Unsichtbarmachen von Frauen in der Gesellschaft.
Ich höre von einer jungen Frau, die beim Probearbeiten in der Gastro verbalem Sexismus ausgesetzt ist und deshalb die Stelle nicht annimmt. Ich traue meinen Ohren kaum, wenn mir eine neue Mitarbeiterin als „heiße Kollegin” vorgestellt wird. Es wird mir berichtet, wie ein Busfahrer den ganzen Bus mit sexistischen Witzen unterhält, über die alle Frauen nicht lachen können. Alle meine Freundinnen sind sich einig, dass sie in dunklen Straßen Angst haben.
Einzelne Vorfälle von Sexismus mögen vielleicht harmlos erscheinen, aber sie erschaffen eine Atmosphäre der Einschüchterung, Angst und Unsicherheit. Dies führt zur Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen.

Und so sind wir beim oberen Teil des Eisbergs. Ich kenne nicht eine Frau in meinem Umfeld, die noch keinen sexuellen Übergriff, Belästigung oder gar Gewalt erlebt hat. Und es ist noch erschreckender, wenn es unsere Töchter sind, die es erleiden müssen. Und so lese ich von Erfahrungsberichten unzähliger Frauen, die übergriffige Situationen beim Arzt erlebt haben. Voller Entsetzen erzählen mir junge Frauen aus meinem direkten Umfeld, dass sie im Bus begrabscht wurden und alle Fahrgäste schauten zu.

Wenn wir im Frauenkreis unter uns sind, kommen traumatische Geburtserfahrungen zur Sprache, die nicht selten von Übergriffen geprägt sind. Von Gewalt in der Geburtshilfe spricht man, wenn übergriffige, grenzüberschreitende oder gewaltvolle Eingriffe ohne Zustimmung der Frau erfolgen.

Die Initiative Roses Revolution Day bringt dies am 25. November ins Bewusstsein.
Zurück zu den Zahlen … Laut der UN wurden 2021 in Deutschland

  • 3.527 Frauen in einer (ehem.) Partnerschaft vergewaltigt oder sexuell genötigt
  • 115.342 Frauen erlebten Gewalt in einer (Ex-)Partnerschaft
  • 305 Frauen Opfer von (versuchtem) Mord oder Totschlag

2022 gab es in Deutschland 133 Femizide, also die Tötung einer Frau wegen ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit.

Die aufgeführten Zahlen bilden natürlich nur die Straftaten ab, die überhaupt zur Anzeige gebracht wurden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus erläuterte, es sei davon auszugehen, dass derzeit zwei Drittel der weiblichen Betroffenen nicht zur Polizei gehe. Nach sogenannten Dunkelfeldstudien ist jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Das sind mehr als 12 Millionen Frauen, so das BMFSFJ.

Ich wünsche mir, dass wir Frauen uns diesem Problem wieder mehr bewusst werden, wir müssen uns trauen, beim Alltagssexismus den Mund aufzumachen und Stopp zu sagen.

Uta Börger

INFO:
www.rosesrevolutiondeutschland.de
unwomen.de/gewalt-gegen-frauen-in-deutschland-2021
www.frauen-gegen-gewalt.de
human-rights-channel.coe.int

Bild: Adobe Stock, Maria Skrigan