Johanna und Lisa kennen sich noch aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Mittlerweile sind ihre Kinder Finn und Anton 13 Monate alt und sie treffen sich regelmäßig.
In letzter Zeit hat Johanna öfter mal das Gefühl, dass Lisa das mit dem Muttersein irgendwie besser hinbekommt. Bei Lisa schaut alles so leicht aus, sie weiß was ihr als Mutter wichtig ist und vor allem: Sie wirkt in ihrer Mutterrolle glücklich und angekommen.
Johanna hingegen fühlt sich oft frustriert und erlebt ein Hin und Her ihrer Gefühle. Mal empfindet sie große Freude, mal fühlt sie sich überfordert und leidet unter der Fremdbestimmung durch das Baby, das für ihre Bedürfnisse und Interessen wenig Platz lässt. Sie hat das Gefühl, in sehr kurzer Zeit sehr viel Neues lernen zu müssen – was früher in ihrem Job gar kein Problem, sogar eine angenehme Herausforderung war. Die alte Johanna war selbstsicherer, hatte weniger Ängste, wusste was sie kann und war nicht so emotional. Manchmal erkennt sie sich selbst nicht wieder.
Dazu die vielen anderen Veränderungen: Mit ihrem Partner Tom gibt es immer wieder Auseinandersetzungen. Zu ihrer engen Freundin Nele hat Johanna weniger Kontakt als früher. Nele arbeitet viel und abends ist Johanna einfach zu müde. Sie können auch nicht mehr so ungezwungen quatschen wie früher, vor allem weil Johanna denkt, sie langweilt mit ihren „Muttergeschichten“. Außerdem fühlt sie nicht mehr so wohl in Ihrer Haut. Ihr Körper hat sich durch die Schwangerschaft und die Geburt verändert. Und sie macht sich viel mehr Gedanken darum, wie sie klimafreundlicher leben kann. Schließlich ist es jetzt auch die Welt, in der Finn groß werden wird.
Johanna erlebt einen Wandel: Sie wird Mutter. Gegen viele Überzeugungen passiert das nicht einfach automatisch mit der Geburt. Es ist ein Prozess und eine Phase, für die unterschiedlich lange Zeit gebraucht wird und die mehrere Ebenen betrifft. Vielen wissen, dass sich mit dem Mutterwerden etwas verändern wird. Das heißt aber nicht automatisch, zu wissen, wie sich das anfühlen wird. „Über die herausfordernden Momente und widersprüchlichen Gefühle des Mamawerdens wird oft wenig gesprochen, so dass leicht das Gefühl entstehen kann, das eigene Empfinden sei nicht normal”, erzählt Katharina Kielmeier, Sozialpädagogin bei profamilia Augsburg.
In der Forschung wird dieser Prozess als Übergang zwischen verschieden Lebensstadien beschrieben, eine Umbruchphase, die mit Verlusten und Zugewinnen einhergeht und teilweise auch als krisenhaft erlebt wird. Es ist eine enorme Anpassungsleistung körperlich und psychisch, in der neuen Rolle anzukommen und die Herausforderung der Veränderungen auf dem Weg zum Muttersein zu meistern.
Mit den eigenen Grenzen und Bedürfnissen nochmal so ganz anders als bisher in Kontakt zu kommen und dabei eine Art Wesensänderung zu bemerken, kann Angst machen und verunsichern.
Bei einem nächsten Treffen fasst sich Johanna ein Herz und fragt Lisa, wie es ihr als Mama geht. Lisa kann Johannas Gefühle und Befindlichkeiten total gut nachvollziehen, es ging ihr nach der Geburt auch oft so. Obwohl sie immer auch noch Dinge verunsichern und verzweifeln lassen, hat sie jetzt ein anderes Verständnis von sich als Mutter und fühlt sich wieder mehr wie sie selbst.
Die beiden bedauern es, dass sie nicht viel früher ehrlicher miteinander waren. Das Wissen über all diese Veränderungen und welche Zeit es braucht, hätte sie an vielen Stellen beruhigt und vielleicht geholfen alles besser einzuordnen.
INFO:
Katharina Kiehlmeier
Sozialpädagogin (BA) und Systemische Beraterin
in der Schwangerenberatung und Sexuellen Bildung bei
pro familia Augsburg e.V.
Tel.: 0821 / 45 03 62-0
www.profamilia.de
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