Start ins Leben: Machs‘ dir nett im Wochenbett!

Wochenbett – was für eine altmodische Bezeichnung! Lagen die Frauen früher wirklich über Wochen im Bett nach einer Geburt? Schwer vorstellbar heute! Zunächst ein paar Zahlen: 1980 verbrachten die Frauen in Westdeutschland nach der Geburt durchschnittlich 10 Tage im Krankenhaus, im Jahr 2000 noch 5,5 Tage und heute beträgt die mittlere Verweildauer bei einer unkompliziert verlaufenen Geburt 3,1 Tage. Diesen Trend gibt es nicht nur in der Geburtshilfe – aber gerade nach einer Geburt beginnt doch eine besondere Zeit! Für sie gibt es in allen Kulturen der Welt einen Begriff und spezielle Schutzregeln, auch weil viele Frauen früher im Wochenbett gestorben sind.

Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Nicht umsonst gibt es ein achtwöchiges Beschäftigungsverbot. Traditionell werden Frauen in diesen Wochen besonders umsorgt. Heute lauten die medizinischen Empfehlungen nicht mehr, sich tage- oder wochenlang ins Bett zu legen, sondern eher bald aufzustehen und zum Beispiel spazieren zu gehen. Die entscheidende Frage dabei ist, ob die junge Mutter sich dabei erholen kann und zur Ruhe kommt. Sie braucht einen Schonraum. Dieser Schonraum muss nicht in der Klinik sein – es kommt darauf an, wieviel Unterstützung sie zuhause erhält und auch annehmen kann. Gar nicht so einfach, wenn frau bisher immer autonom und selbständig war.

Jetzt geht es darum zu kuscheln, zu schlafen, in aller Ruhe das Baby zu versorgen, zu stillen oder Flasche zu geben, Nähe und Wärme zu genießen, das neue Wesen kennenzulernen, sich wirklich eine Auszeit zu nehmen und sich nicht unter Druck setzen zu lassen, dass irgendetwas schnell wieder funktionieren muss. Jede Frau ist einzigartig und hat ihr eigenes Tempo, manche sind schon nach drei Wochen wieder relativ fit, andere brauchen drei oder sechs Monate. Es hängt auch von Rahmenbedingungen ab. Wohnen die Großeltern vor Ort und bringen Essen vorbei oder wohnen sie 600 km weit weg? Wie strapaziös war die Geburt, wie entwickelt sich das Baby? Wichtig ist, sich nicht ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, wenn frau nicht sechs Wochen nach der Geburt wieder so fit und belastbar ist wie vor der Schwangerschaft.

Hebammen, der Partner oder die Partnerin, Familie, Freund:innen und Nachbar:innen bilden im Idealfall ein wunderbares Unterstützungsnetzwerk. Der Hebammenbesuch zuhause ermöglicht es, vertrauensvoll alle Fragen und Unsicherheiten ansprechen zu können. Gerade beim ersten Kind ist es eine unschätzbar wertvolle Hilfe, dass jemand nach Hause kommt. Es sind ja nicht nur die körperlichen Veränderungen und die Versorgung des Babys, die der Mutter zusetzen. Sondern die „neugeborene“ Mutter wird selbst emotional bedürftige, schwache und verletzliche Momente erleben. Wie gut, dass die Hebamme diese Gefühle kennt, ihnen gewachsen ist und Zuspruch und Mut gibt. Außerdem ist sie Fachfrau für die Behebung der Startschwierigkeiten mit dem Baby im Alltag. Apropos Alltag: Fragen Sie ihre beste Freundin oder wen auch immer nach Hilfe im Haushalt. Füllen Sie Vorratsschränke und Gefrierschrank vorab oder bestellen Sie Essen oder Lebensmittel online. Essen Sie genug, schlafen Sie auch, wenn Ihr Baby schläft.

Für Eltern gilt es, sich anzupassen an eine völlig neue Situation. Die Realität des Elternseins wird nicht immer den vorherigen Erwartungen entsprechen können. Sie wird als fordernder erlebt, als man sich das vorher ausgemalt hatte. Dauernd zur Verfügung stehen zu wollen und auch zu müssen, egal wie es mir als Mutter oder Vater gerade selber geht, kann das Gefühl auslösen, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Dann ist es gut, weniger auf die sorgenvollen Gedanken zu hören, sondern mehr auf die eigenen Ideen, Gefühle und Empfindungen zu vertrauen – und sich weniger mit anderen zu vergleichen. Ein Gespräch mit erfahrenen Eltern oder einer bzw. einem Berater:in einer Schwangerenberatungsstelle kann helfen, die eigenen Empfindungen klarer zu machen und einordnen zu können. Wie wäre es denn, den Begriff Wochenbett zu ersetzen mit „Familienflitterwochen mit dem Baby?“ Vielleicht ist es Zeit, das altmodische Image aufzufrischen!

INFO:
Hanna Weißbeck
Schwangerenberaterin, Dipl.soz.päd (FH),
system. Paar- und Familientherapeutin
pro familia Augsburg e.V.
Tel.: 0821 / 45 03 62-0

www.profamilia.de

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