„Die Männer sind erst Väter, wenn das Kind zur Welt gekommen ist, die Frauen jedoch sind schon zu Beginn der Schwangerschaft Mütter.“ Solch „hilfreiche“ Aussagen bekommen werdende Eltern gerne von selbsternannten Expert:innen zu hören. In diesem Fall geht es um die frühe Bindung der werdenden Mutter zu ihrem Baby, die sie während der Schwangerschaft schon aufbauen kann. Der werdende Vater hingegen hat vermeintlich keine Möglichkeit, das Gleiche zu tun. Er ist sozusagen bis zur Geburt emotional und physisch vom Baby abgekoppelt.
Aber ist das wirklich so? Aus vielen Gesprächen mit Vätern und werdenden Vätern verbleibt ein ganz anderer Eindruck: Häufig fanden sie sich schon beim ersten Gedanken an ein Kind in einer Gefühlsspirale wieder, die sich während der Schwangerschaft noch verstärkte. Also eigentlich ganz ähnlich, wie bei den werdenden Müttern, jedoch mit einem Unterschied: Die Männer werden seltener nach ihren Gedanken zur bevorstehenden Veränderung gefragt.
Und doch spielen sich im Kopf bei beiden Elternteilen während der Schwangerschaft größtenteils die gleichen Gedankenexperimente ab: Werden wir gute Eltern sein? Schaffen wir die zusätzliche Belastung? Reicht unser Wohnraum und was machen wir, wenn wir doch schnell umziehen müssen und nichts finden? Wird unser Baby gesund sein? Wie bekomme ich Arbeit, Hobbies und Kind unter einen Hut? Wer hilft uns, wenn wir nicht mehr können? Was passiert mit unserer Liebesbeziehung?
Wenn werdende Väter nach ihren Gedanken und Gefühlen bezogen auf die kommende Veränderung gefragt werden, fällt es ihnen häufig schwerer als den Frauen, diese ehrlich in Worte zu fassen. Oder aber sie wollen es schlichtweg nicht. Denn Sicherheit und Gelassenheit auszustrahlen, ist vermeintlich die bessere Option, damit die Partnerin die emotionale Position als Schwangere einnehmen kann. Viele Männer haben gar das Gefühl, dass es gesellschaftlich von ihnen erwartet wird, gerade jetzt Stabilität zu bieten und nicht verletzlich oder gar zweifelnd zu wirken.
Dabei gibt es viele Männer, die mitfühlen, manche sogar wesentlich mehr als andere. Sie sind vom sogenannten „Couvade-Syndrom“ betroffen, einer Art „Co-Schwangerschaft“. Betroffene haben seelische und sogar körperliche Symptome einer Schwangerschaft, genauso wie ihre Partnerin. Das Phänomen ist allerdings noch nicht gut untersucht und tritt bei werdenden Vätern immerhin in einer niedrigen zweistelligen Prozentzahl auf.
Aber egal, ob emotionaler oder distanzierter Typ oder irgendwo dazwischen: Es ist sicher eine gute Idee, allen Männern mehr Raum und Akzeptanz in der Gesellschaft zu geben, sich ehrlich zum Vaterwerden zu äußern – ohne Wertung und Häme. Denn nur durch Austausch und Informationen darüber, wie es anderen Vätern und angehenden Vätern in einer ähnlichen Situation geht, besteht die Möglichkeit, eine eigene gute Idee des Vaterseins zu entwickeln und diese auch umzusetzen. Dann muss auch das Vaterwerden kein einsames Gedankenexperiment bleiben, sondern kann, schon bevor das Baby da ist, mit echten Eindrücken von anderen Vätern gefüllt werden.
INFO:
Martin Köbach
Schwangerschaftsberatung, Sexuelle Bildung, Beratung speziell für Männer und Väter rund um Schwangerschaft und bis zum 3. Lebensjahr des Kindes
pro familia Augsburg e.V.
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