Ratgeber Familienalltag: Der leidige Kampf ums Haarewaschen und Zähneputzen

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HINWEIS: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr (Erscheinungsdatum: 13. März 2019). Es kann sein, dass Inhalte dieses Artikels sich geändert haben. Hier geht es zu unseren aktuellen Meldungen.

-von Johanna Batjargal. Dass, wer seinem Kind die Haare waschen möchte, Tobsuchtsanfälle und Polizeibesuch riskiert, ist eine Angstfantasie vieler Eltern, die, wie ein Vorfall 2017 in Rheinland-Pfalz zeigt, gar nicht so sehr an den Haaren herbeigezogen ist. Das Haarewaschen wie auch das Zähneputzen oder Kämmen zählt zu den berühmt-berüchtigten Kampfschauplätzen des Familienalltags. Mit der Pädagogin und Psychotherapeutin Christine Opitz hat liesLotte darüber gesprochen, wie sich elterliche Verantwortung mit kindlichem Autonomiebestreben vereinbaren lässt und wie aus lästigen Pflichten schöne Rituale werden können.

Frau Opitz, oft erleben Eltern, dass notwendige Hygienemaßnahmen wie das Zähneputzen oder Haarewaschen heftige Gegenreaktionen hervorrufen und zum Schauplatz zermürbender Kämpfe werden. Woher rührt dieser enorme Widerstand?
Zunächst möchte ich Eltern gerne beruhigen: Geduld, es ist nur eine Phase. Ist man aber mittendrin, lohnt es sich hinzuspüren: Womit kann man es zu tun haben? Was könnte das Bedürfnis dahinter sein? Es gibt da mehrere mögliche Interpretationen. Zum Beispiel ist da das Bedürfnis nach Autonomie, vor allem im Trotzalter, als Phase des erwachenden Eigensinns. Hier entwickeln sich viele Widerstände, nicht zuletzt im Bereich der Körperpflege. Eine anderer Faktor ist das Recht auf beziehungsweise Bedürfnis nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Herausforderung besteht darin, als Eltern eine Balance zu finden, Kindern im Zusammenhang mit Berührung ein Nein zuzugestehen und auf der anderen Seite seinen Job als Eltern zu machen. Und dazu gehört auch, eine Grundhygiene zu gewährleisten.

Die innere Haltung  entscheidet

Was raten Sie Eltern, die sich in diesem Konflikt befinden?
Was grundsätzlich hilft, ist Achtsamkeit, aber auch die Berücksichtigung der Bindungs- und Bezugsperson des Kindes sowie Atemtechniken.

Atemtechniken, fürs Kind oder die Eltern?
Für die Eltern (lacht). Denn das Wichtigste ist immer, dass wir als Eltern selbst ruhig sind, zum Beispiel indem wir tief durchatmen oder innerlich bis drei zählen. Wichtig ist, dass Berührung nicht aus einem emotional aufgewühlten, sondern aus einem ruhigen Zustand heraus geschieht, denn das braucht es für sanfte und liebevolle Berührungen.

Kindliche Gefühle Anerkennen und trotzdem die Führung übernehmen

Darüber hinaus ist es ungemein wertvoll, verbal wie auch nonverbal zu vermitteln: „Ich sehe und verstehe, dass du das nicht möchtest.“ Nicht: „Mach doch kein Theater“, dieses Herunterspielen. Es braucht diese Balance, die Angst oder den Zorn des Kindes anzuerkennen, sich aber dennoch durchzusetzen und seiner elterlichen Verantwortung gerecht zu werden. Wichtig ist in erster Linie, wie WIR als Eltern damit umgehen. Wir beobachten ja sehr deutlich, wie solche Widerstände kommen und gehen, wie sie abhängig sind von der Tagesform sowohl des Kindes als auch der Eltern. Je achtsamer wir sind, je besser wir das Kind anerkennen können, desto besser gestalten sich solche Situationen.

Was können Eltern von kleinen Kindern präventiv tun, damit Hygiene gar nicht erst ein Konfliktzone wird?
Ich empfehle, Kinder spielerisch an das Thema heranzuführen. Es gibt zum Beispiel gute Kinderbücher zum Thema oder nett gestaltete Kinderzahnbürsten. Positive Motivation ist hier das Stichwort. Wenn wir Hygiene in gezielten Ritualen verankern, ist das höchstwahrscheinlich bis zur Pubertät kein Thema mehr.

Wo sehen Sie die Linie zwischen der körperlichen Selbstbestimmung des Kindes, zum Beispiel über den Mundraum, und der Pflicht zur Hygiene?
Eltern haben nicht nur ein Recht auf, sondern auch eine Pflicht zur Erziehung. Natürlich muss man das teilweise abwägen. Zu häufiges Waschen kann sich angesichts vieler Duft- und Zusatzstoffe  negativ auf den natürlichen Säureschutzmantel der Haut auswirken. Es gilt vielleicht die Maxime: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. In Betreuungseinrichtungen mit vielen Kindern sind aber Maßnahmen wie das Händewaschen als Infektionsprävention einfach notwendig. Auch beim Zähneputzen überwiegen doch eindeutig die Vorteile für das Kind. Man kann im Notfall pragmatisch handeln, bei viel Widerstand die Haare kurz halten zum Beispiel, oder ein kleineres Kind alle zwei Tage selbst die Zähne putzen lassen. So etwas muss austariert werden. Vielleicht darf ein Zweijähriger auch mal der Mama die Zähne putzen, was seinem Autonomiebedürfnis entgegenkommt. Wir können die Zähne mit einem Spiegel einzeln anschauen, eine weichere Zahnbürste besorgen oder von Karies und Baktus erzählen. Ich möchte Eltern unbedingt ermutigen, kreativ zu werden, den Austausch zu suchen und auszuprobieren, was für sie funktioniert. Und sich immer zu fragen: Woher rührt der Widerstand? Wie ist unsere Beziehung zum Kind in dem Moment? Vielleicht ist ein Kind sensibler als wir, braucht sanftere Bewegungen oder eine weichere Bürste? Oft ist die Arbeit mit Büchern ein schönes Angebot, denn Kinder lernen  vom Modell durch Nachahmung.

Positive statt negative Motivation

Stichwort Nachahmung: Für uns Eltern sind diese Tätigkeiten ja auch nicht immer pure Freude und manche von uns haben Hygiene eher destruktiv als konstruktiv erlebt, im Sinne von „Dreck wegmachen“ anstelle von „Sich pflegen“.
Ja, natürlich spielen hier eigene Erfahrungen eine Rolle. Es ist für uns wie für unser Kind wichtig, das Thema positiv zu besetzen, hin zu einem „Ich mache mich schön, tue mir etwas Gutes“. Gerade im Kleinkindalter sind die sinnlichen Erfahrungen besonders prägend, weswegen es wichtig ist, dass Tätigkeiten freudvoll erlebt werden. Hier können Eltern entgegen alter Erfahrungen einen positiven Umgang lernen und gemeinsam mit ihrem Kind etwas Neues, Schönes entwickeln. Was mir im Gespräch mit Eltern oft auffällt, ist, dass viele gelernt haben, sich negativ zu motivieren. „Oh Gott, wenn das nicht klappt, passiert das und das.“ Für sich selbst wie fürs Kind sollten wir aber eine positive Motivation kultivieren: „Wenn wir unsere Zähne putzen, können wir auch etwas Süßes davor genießen“ oder soziale Belohnungen wie „Wenn das Haarekämmen
gut läuft, haben wir gleich noch Zeit zum Spielen“.

Kinder wollen kooperieren

Zusammengefasst: Wenn wir auf das WIE achten, erledigt sich das WAS oft von selbst?
Ja. Es ist nur der Stress, unsere Verfassung, die die Dinge oft so schwer macht. Dabei gibt es einen liebevollen Weg. Wenn wir hier gewaltsam etwas durchsetzen, provoziert das nicht nur Widerstand, sondern hat auch im Hinblick auf Missbrauchsprävention negative Auswirkungen aufs Kind. Mir ist es wichtig zu betonen: Kinder wollen eigentlich kooperieren. Das melden mir auch viele Eltern zurück. Schließlich ist der Wunsch nach Zugehörigkeit eines unserer Grundbedürfnisse, das eben manchmal mit dem Wunsch nach Autonomie und Selbstwirksamkeit kollidiert. Die richtige Balance zwischen diesen drei Bedürfnissen ist entscheidend für unser Kind wie auch den Erziehungsalltag. Und da gibt es unendlich viele Möglichkeiten, das gut zu gestalten.