Hat die Jugend eine Wahl?

Hebende Hände

Nazan Simsek, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Augsburg, im liesLotte-Gespräch über die Senkung des Wahlalters für Jugendliche.

Gemäß Artikel 38 Absatz 2 des Grundgesetzes ist wahlberechtigt, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

Sollte das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt werden? Was spricht dafür, was dagegen? Wie sieht es mit der Urteilsfähigkeit von Jugendlichen aus, können sie dieser Verantwortung gerecht werden? In einigen Bundesländern dürfen 16-Jährige bereits den Landtag wählen.

Die Herabsetzung des Wahlalters ist umstritten. Die Diskussion ist nicht neu. Vor 52 Jahren wurde das Wahlalter von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesetzt. In den siebziger Jahren wurde nach der Absenkung des aktiven Wahlalters auch die Volljährigkeit mit Wirkung ab 1. Januar 1975 auf 18 Jahre abgesenkt.

Neben diesen Diskussionen sollte nicht über, sondern mit Jugendlichen gesprochen werden. Nazan Simsek ist als Wertebotschafterin an Schulen unterwegs. Jugendliche geben im Rahmen des Dialoges an, dass sie Respekt, Transparenz und Ehrlichkeit im Umgang mit der jungen Generation vermissen. Sie fühlen sich von der Politik nicht gesehen, ihre Bedürfnisse nicht adäquat behandelt. Insbesondere die Corona-Pandemie habe deutlich gemacht, wie wenig Verständnis der Jugend entgegen gebracht werde.

Unsere Gesellschaft wird zunehmend älter. Bei den jüngsten Bundestagswahlen waren 60 Prozent der Wähler:innen über 50 Jahre alt. Lediglich 14 Prozent waren unter 30 Jahre alt. Bekanntermaßen können die altersbedingten Anliegen und Bedürfnisse weit auseinanderliegen. Der Wertedialog zwischen den Generationen ist daher unabdingbar, um auch die Interessen der jungen Menschen erfassen zu können.

Auch wenn Jugendliche unter 18 Jahren nicht wählen dürfen, werden sie, de facto, zu Passivwähler:innen. Sie müssen das Ergebnis schlichtweg akzeptieren. Dabei werden mit jeder Wahlperiode Entscheidungen getroffen, die sich in ihrer Wirkung auf die Zukunft der jungen Generation erstrecken. Für die Schulden und Versprechen wird letztendlich die jetzige Jugend an die Kasse gebeten werden.

Wie ist es nun mit der Verantwortung? Wie verantwortungsvoll würden Jugendliche mit einem Wahlrecht umgehen, bestünde die Gefahr der Instrumentalisierung, da möglicherweise leichter beeinflussbar? Die Demokratie lebt von Wahlen und bedingt, dass der / die Einzelne sich aktiv beteiligt und die Verantwortung für die Gemeinschaft mitübernimmt. Untersuchungen haben ergeben, dass etwa 90 Prozent der Erwachsenen nicht besonders sorgfältig recherchieren. Sie entscheiden eher nach eigenen Einschätzungen, welche Partei sie wählen. Das politische Verantwortungsbewusstsein ist ein Prozess und entsteht nicht erst mit Vollendung der Volljährigkeit.

Das sogenannte Michigan-Modell aus den 50er-Jahren ist bis heute eine der meistzitierten Veröffentlichungen der Wahlforschung. Eltern geben an ihre Kinder nicht nur Aussehen, sondern auch eine Parteienidentifikation weiter. Bei der politischen Sozialisation zeigten Erhebungen zur elterlichen Rolle in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren eine hohe parteipolitische Übereinstimmung zwischen Eltern und Kindern. Der Wahlforscher Paul F. Lazarsfeld stellte fest: „A person thinks, politically, as he is, socially.”
Eltern prägen ihre Kinder mit ihrer politischen Haltung, ihrem Wahlverhalten und Parteivorliebe. Letztendlich leben Eltern, da Primärsozialisation, ihren Kinder politisches Bewusstsein, Demokratieverständnis und Verantwortungsbewusstsein für die Gemeinschaft vor.

Politische Teilhabe und Bildung ist ein Grundrecht. Jugendliche, die Generation der Zukunft, sind die Tragsäule unserer Demokratie. Die Jugendbewegung Fridays für Future hat deutlich gemacht, dass Jugendliche mitgestalten und mitbestimmen wollen. Die Jugendlichen haben demonstriert, sie haben ihre Anliegen kundgetan. Das wichtigste Recht der Partizipation, das Wahlrecht, wird ihnen jedoch verwehrt. Das Wahlrecht ist ein Bürger:innenrecht. Die Senkung des Wahlalters ist ein wichtiger Schritt, das Recht der Jugend auf Gehör und Mitwirkung, im Lichte der Partizipation, umzusetzen. Lasst uns gemeinsam mehr Demokratie wagen.

Foto: Adobe Stock, Day Of Victory Stu.