Alles halb so wild?

AdobeStock_andreaobzerova
HINWEIS: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr (Erscheinungsdatum: 19. August 2019). Es kann sein, dass Inhalte dieses Artikels sich geändert haben. Hier geht es zu unseren aktuellen Meldungen.

Kurs: “Starke Eltern, starke Kinder” – Der Elternführerschein für ein glückliches Familienleben

Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr. So oder ähnlich könnte man Wilhelm Buschs berühmtes Zitat heute lesen, wo es – samt dazugehörigem Gedicht – nichts an Aktualität verloren hat. Dass aber ein entspannter Familienalltag kein Ding der Unmöglichkeit ist und es auf diesem Gebiet noch eine Menge zu entdecken gibt, das uns auf unserem Weg mit Kindern stärkt, ist weniger bekannt. Vorhang auf für den Elternkurs.

Eine andere Art des Herangehens

„Eigentlich mache ich gar nichts anders und trotzdem hat sich so viel verändert.“ Eine Rückmeldung, die Gabi Titze vom Kinderschutzbund Dillingen immer wieder bekommt. Die Heilpädagogin leitet seit 2001 den staatlich geförderten Elternkurs „Starke Eltern, starke Kinder“, der in Wertingen und Dillingen meist zweimal pro Jahr angeboten wird und sich über sieben bis zehn Abendtermine erstreckt. Das Konzept stammt aus Skandinavien, wo Elternkurse weitaus verbreiteter sind als hierzulande. Aber auch bei uns setzt sich die Erkenntnis durch, dass Kinder großzuziehen ein Job ist, der sich nicht mal eben aus dem Stand erledigen lässt.
Während einerseits unsere Ansprüche an Erziehung zu Recht gestiegen sind, erzeugen hohe
Maßstäbe auf der anderen Seite Druck. Druck, der ohnehin schon stark geforderte Kernfamilien
schnell an ihre Grenzen bringen kann. Vorbeugend Eltern zu einem entspannten Umgang mit ihren
Kindern zu verhelfen ist daher das Ziel des Elternkurses, den der Kinderschutzbund  deutschlandweit anbietet. Die Standardkurse richten sich an Eltern mit Kindern ab drei Jahren, daneben werden aber auch immer wieder Kurse für Kleinkindeltern, Großeltern oder Eltern in Krisensituationen angeboten. Der Preis für Paare unterscheidet sich nicht vom Einzelpreis
– so sollen Väter explizit mit angesprochen werden.

Prioritäten setzen: Was will ich überhaupt?

Wer sich auf den Weg macht, sollte wissen, wo die Reise hingeht. So beginnt der Kurs damit, dass sich die maximal 14 TeilnehmerInnen darüber bewusst werden, was ihre Prioritäten sind, ihre Werte und Wünsche. Hier wird klar: Jeder ist anders, aber auch: Jeder darf so sein, wie er ist. Im Gespräch mit Gabi Titze wird immer wieder deutlich, wie wichtig ihr die Akzeptanz der Eltern in ihrer großen Verschiedenheit ist. Eine wertschätzende Atmosphäre ohne erhobenen Zeigefinger
– darauf haben nicht nur Kinder, sondern auch Eltern ein Anrecht. Und oft ist es bereits das, was dem Frust den Wind aus den Segeln nimmt: Akzeptanz dessen, was ist.
Was Kinder schon können und Erwachsene ihnen bieten müssen, ist oft Gegenstand überhöhter Ideale. Im Kurs werden Eltern dazu ermutigt, ihre Erwartungen zurückzuschrauben und auf sich und ihr Kind zu vertrauen.

Handwerkszeug: Kommunikation, Grenzen und Umgang mit Wut

Als enorm hilfreich empfi nden viele Eltern den Block zur Kommunikation, die unter andere in Rollenspielen erprobt wird, wie zum Beispiel der Gebrauch von Ich-Botschaften und Elemente
der gewaltfreien Kommunikation. Ausgehend von einer wertschätzenden, aber klaren Haltung gibt es hier praktische Tipps, die sich im Alltag bewähren. Ein weiterer Block, der den KursleiterInnen sehr am Herzen liegt, handelt vom Grenzensetzen.

„Selbstreflexion ist gefragt, wenn wir anders handeln wollen, aber immer wieder
nach alten Mustern reagieren.  Nur, wenn uns diese Muster bewusst sind, können wir tatsächlich etwas ändern.”

 

„Immer mehr Eltern haben Schwierigkeiten damit, Grenzen zu setzen; es wird viel zu viel diskutiert“, sagt Titze über ihre Erfahrungen nach 20 Jahren Elternkurs. „Dabei brauchen Kinder Eltern, die verlässlich sind und Halt bieten.“ Sie möchte Eltern darin bestärken, ihrer eigenen Linie zu folgen. Dies ist zugleich Prävention, wenn es um den Umgang mit Wut geht – die erfahrungsgemäß oft aus nervenaufreibenden Diskussionen resultiert. Wie sich aber auch in scheinbar verfahrenen Situationen ein „Notausstieg“ aus Wut und Eskalation finden lässt, ist unter anderem Thema des Blocks.

Studieren, Reflektieren und Probieren

Neben fachlichem Input inklusive Infomaterial zu Bedürfnissen von Kindern wie auch Eltern werden viele Themen in Gruppen erarbeitet. Den meisten Eltern tut es nach anfänglicher Überwindung gut, zu erkennen, dass sie mit ihren Sorgen nicht alleine sind. Wir sitzen alle im selben Boot. Und in diesem Boot kursieren beileibe nicht nur Sorgen – auch Tipps und gute Erfahrungen werden geteilt.
Die KursleiterInnen nehmen Abstand davon, Rezepte zu verteilen. Stattdessen ermutigen sie die TeilnehmerInnen, auszuprobieren, was funktioniert. Im Laufe der Wochen ist genug Zeit für Versuche, Beratung und Kurswechsel. Aber auch Zeit, sich kennenzulernen, sodass der Austausch leichtfällt.

Karl Valentin wird der Ausspruch zugeschrieben:
„Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“

Raum für Reflexion

In vertrauter Runde geht es nach innen: Selbstreflexion ist gefragt, wenn wir anders handeln wollen, aber immer wieder nach alten Mustern reagieren. Nur, wenn uns diese Muster bewusst sind, können wir tatsächlich etwas ändern. Karl Valentin wird der Ausspruch zugeschrieben:
„Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“ Daran ist viel Wahres.
Umso wertvoller ist es daher, wenn wir als Eltern für unsere Bedürfnisse sorgen können und unsere Schwächen genauso kennen wie unsere Stärken. Was kann ich gut? Was mag ich an meinem Kind? Was läuft gut bei uns, was hat sich bewährt? Solche und ähnliche Fragen begleiten
die TeilnehmerInnen als Hausaufgaben. Das Gute zuerst zu sehen und schwerer zu gewichten als
das Schwierige trägt dazu bei, den Alltag von Spannungen zu befreien. Ganz ohne viel zu „machen“, wie es die ehemalige Teilnehmerin zu Beginn des Artikels nach dem Kurs berichtete. (jb)